Antifaschistischer Jahresrückblick 2022 für Witten

Während es deutschland- und weltweit ein Jahr der Veränderungen, der Turbulenzen, der Krisen war, blieb es in Witten verhältnismäßig ruhig. Was uns auf der rechten Seite freut, da es wenige Naziaktivitäten zu vermelden und zu bekämpfen gab, was uns aber auf linker Seite, im Angesicht von zunehmender sozialer Ungleichheit, etwas enttäuscht. Wir wollen im Folgenden aufzeigen, was im Jahr 2022 alles möglich gemacht werden konnte und damit Anreize schaffen, sich im neuen Jahr kollektiv gegen die Krisen unserer Zeit zu organisieren.

Das Jahr begann, wie 2021 aufhörte, die Querdenken und Corona-Leugner*innen-Szene mobilisierte in Deutschland Woche für Woche Tausende gegen die Schutz-Maßnahmen der Regierung. Auch in Witten liefen jeden Montag zwischen 70 und 150 Personen im Kreis und wähnten sich im Widerstand gegen die Corona-Diktatur und „die da oben“. Diese Erzählungen lockten auch als bald die Wittener Faschist*innen aus ihren Löchern. So liefen neben dem AfD-Abgeordneten Matthias Renkel, auch bekannte Kameradschafts- und NPD-Mitglieder mit, die im Januar, bei der Beerdigung des Dortmunder Nazi  Siegfried Borchardt anwesend waren. Gegen diese reaktionäre und braune Protestbewegung organisierte sich ab Mitte Januar ein breites Bündnis aus Parteien, Gewerkschaften, Antifaschist*innen und vielen weiteren stabilen Menschen, um den Querdenker*innen, die Straße und die Aufmerksamkeit zu nehmen. So demonstrierten von Woche zu Woche zwischen 100 und 400 Personen, zum einen gegen Verschwörungserzählungen, kritisierten aber zugleich auch die ungerechten Maßnahmen und forderten mehr Geld und Gesundheitsschutz für die Pflege, Kultur und Arbeiter*innen in den Betrieben.

Nachdem in einer breiten Plakataktion die Nazis geoutet wurden, ließen sie sich ab da an nicht mehr blicken. Besonders negativ blieb da die Aussage des Bürgermeisters in Erinnerung, der den Gegenprotest zur Deeskalation aufrief, obwohl zwei Lokalpolitiker von Querdenkern bedroht wurden. (Zwei vorbestrafte Querdenker wurden wegen Bedrohung und Beleidigung im Laufe des Jahres zu mehrmonatigen Haftstrafen verurteilt.) Als die Schutzmaßnahmen nach und nach gelockert wurden, nahm auch die Anzahl der Querdenker*innen ab, sodass sie dann noch mit rund 30 Leuten wahlweise durch die Innenstadt oder durch Witten Annen zogen. Aktuell laufen noch rund 10 Personen regelmäßig durch die Straßen. 

Nachdem man sich die ersten Wochen nur mit dem politischen Gegner*innen auseinandersetzen musste, wurde sich ab April darauf konzentriert, eigene Inhalte zu verbreiten, neue Menschen zu erreichen und Aktionen durchzuführen. So gab es vom 19. bis 22. April die allererste Kritische Einführungswoche für Studierende, die es jemals in Witten gab. In den Räumlichkeiten des Unikats  wurden Vorträge zum Thema Seenotrettung, Antifaschismus und Kritik am Gesundheitswesen gehalten, untermalt von einem kleinen Konzert der Rapperin SIC und einer Kneipentour. Das war so ein großer Erfolg, dass diese im Wintersemester noch größer und vielfältiger wiederholt wurde. Doch dazu später mehr. Denn dazwischen ist noch eine ganze Menge anderes passiert.

Ab April fand nämlich wieder nach 2 zweijähriger Pause regelmäßig das Antifa Café im Trotz Allem statt. Neben kostengünstigen Essen und Getränken gab es jeden ersten Freitag im Monat spannende Vorträge, Diskussionen und Inputs zu aktuellen Themen, die aus linker, antifaschistischer, feministischer und klassenkämpferischer Perspektive durchleuchtet wurden.

Wir bedanken uns ganz herzlich bei allen Referent*innen, die ihr Wissen mit uns geteilt haben! Ein weiteres Dankeschön geht an die Falken aus Hagen, mit deren Unterstützung viele Projekte ermöglicht werden konnten!

Auch grundsätzlich kehrte das Leben ins Trotz Allem zurück. So wurde gebruncht, gekickert, Filme geschaut, diskutiert, gelesen, zusammen gefeiert und sich informiert. Es bildeten sich ein Frauentreff und eine Küfa-Gruppe, die seit diesem Jahr aktiv sind. Es gab mehrere Konzerte in Kooperation mit dem Treff, das Sommerfest fand wieder auf dem Ossietzky-Platz statt und es wurden verschiedene Bildungsvorträge und Workshops organisiert. Dabei ist besonders die Reihe zum türkischen Nationalismus zu nennen, die organisiert wurde, nachdem der Bürgermeister Lars König sich unter den Symbolen der Grauen Wölfe ablichten ließ. 

Auch an anderen Orten in Witten gab und gibt es spannende Veranstaltungen. So organisierte die feministische Gruppe (FEMGrr) mehrere Veranstaltungen und das Diversity Festival in der Werkstadt, im Raum Café gibt es die regelmäßig stattfindende Dyke*night, es gab Workshops und Aktionstraining für den Erhalt von Lützerath im Unikat und Lokal im Wiesenviertel und Lesungen im Haus Witten über Rosi Wolfstein und über Sinti und Roma zur Zeit des NS in Witten.

Im Sommer organisierte das NIKA Bündnis eine große Kampagne gegen Nazis in Behörden von Polizei, Militär und Justiz. Eine große Demonstration führte zu dem Schießstand der Firma Baltic Shooters in Güstrow, wo Mitglieder des Nordkreuz Terrornetzwerkes Schießübungen durchführten. Auch in Witten wurde ein Mobi-Video erstellt, was uns Antifaschist*innen als potentielle Ziele der Nazis thematisierte und antifaschistische Solidarität forderte. Das Thema der NIKA Kampagne bewahrheitete sich leider in trauriger Prophezeiung, als Ende des Jahres wieder ein großes Nazi-Terrornetzwerk aus Reichbürger*innen und Corona-Leugner*innen mit besten Verbindungen zur Polizei und Bundeswehr in Deutschland ausgehoben wurde.

Als durch den Krieg in der Ukraine, als Folge der Corona-Jahre und durch die Profitinteressen der Energiekonzerne im Sommer die Preise für Lebensmittel, Miete und Heizen anstiegen, gründete sich, wie in vielen anderen Städten auch, Anfang Herbst das Sozialprotestbündnis „Solidarisch durch den Winter“ in Witten. Leider kam es über Briefkästenflyern, einer Telegramgruppe und einer Kundgebung mit rund 100 Personen nicht hinaus und die Forderung nach einer gerechten Politik verpufften schnell. Damit liegt Witten aber im deutschlandweiten Trend. Es brodelt zwar an allen Ecken und Enden, allerdings kriegen Linke, die Massen (noch) nicht mobilisiert.

Da die erste kritische Einführungswoche so ein großer Erfolg war, gab es zum Wintersemester eine zweite Auflage mit neuem Namen (Die Kritische), ganz vielen spannenden Vorträgen im Unikat und einem großen Abschlusskonzert im Treff. Über die Woche verteilt, konnten rund 300 Personen über die Themen Wohnen und Besetzen, solidarische Stadtteil-, Geflüchteten- und Krankenhausarbeit, sowie Klimaschutz informiert werden. Dazu konnte eine vernichtende Kritik an der anthroposophischen und neoliberalen Ausrichtung der Uni Witten/Herdecke formuliert werden, die viele Studierende zum Nachdenken anregte. In dieser Woche sollte es auch eine große Diskussionsrunde an der Uni mit verschiedenen Ikonen der Querdenken- und Coronaleugner*innenszene geben, unterstützt von einem der Gründerväter der Uni.

Der sich dagegen formierende Protest, eine breite öffentliche Empörung und die Absage einiger Diskussionsteilnehmer*innen, führte dann schließlich doch zum Umlenken der Uni-Leitung und die Veranstaltung wurde abgesagt. Trotzdem demonstrierten rund 150 Personen vor dem Universitätsgebäude, wobei der Protest weit über Kritik an Verschwörungstheorien hinausging und selbst eine Vergesellschaftung der Privatuni gefordert wurde. In diesem Kontext entstand dann auch eins der schönsten antifaschistischen Fotos 2022: Wir wollen eine antifaschistische, antikapitalistische und feministische Universität!

Im Kontext um die Gedenkveranstaltung zum 9. November wurden verschiedene Formen des Gedenkens, Erinnerns und Trauerns thematisiert. Dabei wurde Kritik an der Gedenkveranstaltung an die Opfer von Hanau im Raum Cafe, der Antikriegskundgebung auf dem Rathausplatz und an die Gedenkkundgebung am Platz der alten Synagoge am 9. November geübt. Dies führte zu großen Diskussionen innerhalb der linken Szene. Inwieweit sich dies im neuen Jahr widerspiegeln wird, wird sich zeigen, Anlässe gibt es jedenfalls genug.

Zusammengefasst kann gesagt werden, dass nach den letzten zwei Jahren mit „social-distancing“, das Diesjährige dazu genutzt wurde, linke Strukturen wieder aufzubauen, Positionen zu diskutieren und neue Verbündete zu suchen. Das war eine Menge Arbeit und erweckt den Anschein, dass „Vieles in Witten ging“, allerdings bedürfen die in immer kürzeren Abständen aufeinanderfolgenden globalen Krisen eine viel größere Mobilisierung linker und progressiver Massen. Warten wir ab, was das kommende Jahr für uns bereit hält…

Etwas Positives, was unsere Stimmung durchaus hebt, gibt es da noch: Die rechten und reaktionären Akteur*innen schwächeln in Witten! Im Folgenden eine kurze Aneinanderreihung interessanter Informationen.

Die Kameradschaftnazis sind nach dem Outing bei der Querdenken-Demo Anfang des Jahres wieder in ihren Löchern verschwunden. Anfang Oktober gab es eine Razzia der Polizei bei einem der führenden Köpfe in Zusammenhang mit Rauschgifthandel.

Bis auf einen harten Kern an Querdenker*innen zerstreute sich Ende Februar die Szene und es gab keine nennenswerten Aktionen, außer einer Kundgebung am ehemaligen Kaufhofgebäude, wo eine Leine „des Grauens“ aufgehangen wurde, die verschiedene Geschädigte von Corona-Impfungen zeigen sollte, aber auch AfD-Propaganda wie Islam- und Queerfeindlichkeit verbreitete. Spontaner Protest von rund 100 Personen nahm den Veranstalter*innen schnell die Lust.

Auch zu den rechten Parteien im Stadtrat ist nicht viel zu vermelden. Sowohl die AfD, als auch die lokale Partei Stadtklima um Michael Hasenkamp sind außerhalb des Rates unsichtbar gewesen. Die Provokationen bei den Ratssitzungen erreichten nur ein kleines Publikum an lokalen Politiker*innen. In die Presse oder im städtischen Diskurs haben sie es kaum geschafft. Interessant ist lediglich, dass der Bürgermeister Lars König das private, gar freundliche Gespräch mit den beiden Parteien suchte. Hat sich König in Witten nicht schon unbeliebt genug gemacht?

In Witten kam es wiederholt zu Nazischmierereien. So wurde sowohl das soziokulturelle Zentrum Trotz Allem zwei Mal mit rechten Parolen besprüht, aber auch im HBF, im Voßschen Garten und am Ruhrtalradweg wurden Hakenkreuze und andere menschenverachtende Parolen gesichtet. Die meisten wurden zeitnah entfernt.

Zwar nicht rechts, aber nicht minder widerlich ist die Sekten-WG am Lutherpark. Ideologisch eng verknüpft mit der Sekte go&change in Bayern, führen sie esoterische, manipulative und frauenfeindliche Veranstaltungen durch. Dazu empfehlen wir folgenden SZ-Artikel. Augen auf, bei der WG Suche!

Zum Schluss wollen wir euch noch darüber informieren, dass Alexander Lehmann von der Identitären Bewegung nach Hachenburg und Martin Laker von der Anastasia-Bewegung nach Hennef gezogen sind.

Das war das Jahr 2022 – was wird das neue Jahr mit sich bringen?

Die Krisen unserer Zeit rufen vermehrt die auf den Plan, die autoritäre, reaktionäre und faschistische und zugleich verkürzte und menschenverachtende Antworten liefern wollen. Das wird auch in Witten wieder Anklang finden. Um so wichtiger ist es, sich antifaschistisch dagegen zu stellen. Und weil das viel besser klappt, wenn man nicht alleine ist, schreib(t) uns doch gerne an – wir freuen uns über jede neue Person mit frischen Ideen und großem Tatendrang! Bis dahin: Alerta Antifacista!